Abiturrede 2024 | Freie Waldorfschule Saar-Hunsrück

Abiturrede 2024

Die Abiturrede, gehalten von Cornelius Lorenz am 05.07.2024 in Walhausen.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Eltern und Verwandte, liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Mitschülerinnen und Mitschüler,

ich freue mich sehr, dass Sie alle heute hier sind und mit uns gemeinsam unseren Abschluss zu feiern, egal, ob sie Heute explizit wegen uns Abiturienten da sind oder wegen den Abschlüssen anderer Klassen. Ich freue mich außerdem, dass ich die Gelegenheit dazu habe, diese Rede stellvertretend für unseren Abiturjahrgang 2024 halten zu dürfen.

Dieses Abiturzeugnis, das wir hier heute in den Händen halten dürfen, markiert das Ende einer langen Reise. Ich erinnere mich noch gut, als Frau Lottmann zu Beginn des Schuljahres mit den Prüfungsterminen in unsere Klasse kam und alles weit weg schien. Man konnte sich noch nicht im Entferntesten vorstellen, wie es ist, wirklich täglich über mehrere Stunden hinweg lernen zu müssen und dann schlussendlich in einem Raum mit seinen Mitschülern mehrere Arbeiten schreiben zu müssen, die alle bisherigen Leistungen, die man schulisch erbracht hat, komplett in den Hintergrund rücken und über die eigene persönliche und berufliche Zukunft entscheiden. Aber von Probeprüfung zu Probeprüfung und von Unterrichtsstunde zu Unterrichtsstunde rückten die Prüfungstermine näher und gleichbedeutend damit stieg auch das Stresslevel. Für viele von uns wurde dieser Stress noch verstärkt durch den Druck, eine bestimmte Note zu erreichen – sei es aus eigenem Ehrgeiz oder weil es notwendig für den angestrebten Studiengang war. Und auch wenn man immer häufiger zu hören bekommt, dass das Abitur heutzutage ja eh verschenkt würde und es ja ohnehin keine Leistung mehr sei, möchte ich sagen: Das, was wir uns alle im letzten Jahr durch harte Arbeit und viel Fleiß erarbeitet haben, hat einen Wert, und zwar einen sehr hohen. Jeder hat seine eigene persönliche Geschichte, hat unterschiedliche Stärken und Schwächen, kommt mit dem einen oder dem anderen Fach besser oder schlechter klar.

Sich durch Fächer durchzuarbeiten, die einem komplett fremd und sinnlos erscheinen, bei denen man sich bei jedem Durchlesen der Materialien nur denkt: „Das werde ich nie mehr in meinem gesamten Leben brauchen“, all das verdient Respekt. Und das ist es meiner Meinung nach auch, was den Titel „Allgemeine Hochschulreife“ rechtfertigt.

Es bezeichnet die Reife und Eignung dazu, akademisch zu arbeiten und sich auch mit vielfach komplexeren Sachverhalten differenziert auseinandersetzen zu können. Es gibt uns die Möglichkeit, uns in einem Feld weiterzubilden und zum Experten zu werden, welches vollends den eigenen Interessen und Stärken entspricht und von dem man vielleicht schon seit langer Zeit fasziniert ist.

Auch wenn dieses Jahr dem einen vielleicht leichter fiel und dem anderen schwerer. Am Ende ist es der Wille und das Durchhaltevermögen, das wir alle in diesem Jahr an den Tag gelegt haben und das dafür verantwortlich ist, dass wir dieses Abschlusszeugnis nun in den Händen halten dürfen.

Es ist aber nicht nur dieses eine Jahr, das heute endet. Es ist ein ganzer Lebensabschnitt. Für mich und vier andere aus unserer Klasse sind es 13 Jahre, die wir an dieser Schule verbracht haben. Wir haben Lehrer- und Schülerwechsel, unzählige Klassenfahrten und Theaterprojekte erlebt. Doch völlig egal, ob von Anfang an dabei oder später als Quereinsteiger hinzugekommen, uns allen werden viele Erinnerungen aus dieser Schulzeit bleiben. Und ich denke, es sind vor allem die positiven Momente, die uns im Gedächtnis bleiben, ob innerhalb oder außerhalb des Unterrichts. Es kamen eigentlich an jedem Schultag Momente auf, die es lohnenswert machten, sich jeden Morgen aus dem Bett zu hieven und zur Schule zu gehen– wenn auch nicht immer ganz genau um 10 nach 8, sondern auch mal um 20 oder 25 nach.. Ich kann, ohne jegliche Schönfärberei, sagen, dass ich – und ich denke, da geht es meinen Mitschülern genauso wie mir – jeden Tag gerne hier zur Schule gegangen bin. Das liegt neben den eben angesprochenen täglichen Begegnungen und Erlebnissen auch nicht zuletzt an einem Unterricht, der zwar nicht immer genau das Thema behandelte, das einen gerade am brennendsten interessierte, jedoch, und das in Fächern, in denen man so etwas nicht unbedingt erwartete, Raum ließ… Er ließ Raum für Diskussionen über alltägliche Themen, aber auch über die großen aktuellen und philosophischen Fragen unserer Zeit. Ich erinnere mich da gerne an eine Mathestunde kurz vor den mündlichen Prüfungen, in der wir mit Herrn Kraus lebhaft darüber diskutierten, ob der technische Fortschritt Fluch oder Segen für die Menschheit ist, oder an Französischstunden, in denen die Diskussionen zwar nicht oft auf Französisch geführt wurden, man aber trotzdem viel über die Ansichten seiner Mitschülerinnen und Mitschüler erfahren konnte. Und auch wenn diese Unterrichtsstunden vielleicht nicht immer der passende Rahmen waren und die Lehrkraft auch nicht immer froh war, wenn ihr eigentliches Thema plötzlich nur noch Ausgangs-, aber nicht mehr Gesprächspunkt war, so bin ich mir sicher, dass uns diese Diskussionen vielleicht mehr für unser weiteres Leben gelehrt haben, als die nächste Flächenberechnung von Pyramiden oder den dritten Comment der Woche in Reinschrift zu bringen.

Es ist die zwischenmenschliche Kommunikation, die Empathie, der Respekt für andere Ansichten und Weltbilder und die Fähigkeit zur selbstständigen Meinungsbildung, die wir hier in den letzten 13 Jahren gelernt haben und die meiner Meinung nach im schulischen Kontext niemals zu kurz kommen dürfen, auch wenn der Lehrplan in manchen Fächern andere Schwerpunkte setzen mag. Den Eindruck, dass diese eben genannten Schlüsselkompetenzen zu kurz kamen, hatte ich an keinem einzigen Tag in dieser Schule und darüber bin ich sehr glücklich. Und das bin ich vor allem, weil ich mir sicher bin, dass diese Fähigkeiten notwendig sind, um außerhalb dieses geschützten Kosmos Schule bestehen zu können und sich in einer Welt zurechtzufinden, die uns vor viele Probleme stellt. An der es eigentlich an jeder Ecke zu brennen scheint und in der wir uns in einer Zeit bewegen, in der aus Gefühlen und Emotionen Fakten werden.

In einem solchen gesellschaftlichen Klima ist es umso wichtiger, Gesagtes einordnen und kritisch hinterfragen, aber auch sich eine eigene Meinung zu strittigen und komplexen Themen bilden zu können, Insbesondere, weil sich der Eindruck nach und nach verstärkt, dass viele, auch und gerade unter uns Jungen, diese Fähigkeiten nur vermindert oder teilweise auch gar nicht an den Tag legen.

Diese Fähigkeiten können übrigens auch nicht in Noten gemessen werden und sind trotzdem nicht weniger wichtig als Biologie, Deutsch oder Englisch.

Nun stehen wir an einem neuen Punkt in unserem Leben. Man kann es sich als eine Weggabelung vorstellen, an der uns nicht zwei oder drei Abzweigungen bereitstehen, sondern tausende unterschiedliche Möglichkeiten, mit ganz verschiedenen eigenen Wegen und neuen Gelegenheiten. Ein einmal beschrittener Pfad muss hierbei nicht aus Prinzip weiter beschritten werden, man kann innerhalb all dieser Wege umdrehen und sich in neue Ideen und Projekte stürzen, die einem hoffentlich neue Erkenntnisse und Möglichkeiten eröffnen.

Auf diesem Weg ist eines klar: Kein Wohlwollen von Prüfern, keine Aufgabenstellungen im Abitur, keine Abschlussnote und auch kein Schulabschluss wird jemals euer persönliches Glück oder euren persönlichen Wert bestimmen. Genauso wenig gibt es bessere und schlechtere Wege.

Und deshalb möchte ich uns zum Schluss noch ein Zitat von Johann Wolfgang von Goethe mit auf den Weg geben: „Was immer du tun kannst oder träumst, es zu können, fang damit an! Mut hat Genie, Kraft und Zauber in sich.“

Anknüpfend daran sage ich: Habt den Mut, euren eigenen Weg zu gehen, ganz gleich, ob er von euren Familien, Freunden oder wem auch immer misstrauisch beäugt wird. Es ist ganz allein euer Leben und nur ihr müsst mit den Konsequenzen eurer Entscheidungen leben, das gilt auf positive, wie auf negative Weise.

Welchen Weg auch immer ihr beschreitet, ich wünsche euch viel Erfolg dabei und es war mir eine Freude, diesen großen Abschnitt meines Lebens mit euch verbracht zu haben.

Danke schön für die Aufmerksamkeit und alles Gute.

von Cornelius Lorenz